„Wir wollen ein Zeichen setzen gegen sexuelle Gewalt an Schutzbefohlenen in der Kirche, wie können Sie dazu beitragen, fällt ihnen etwas ein?“ Lautete die Anfrage aus dem Ordinariat der Erzdiözese München und Freising im Sommer 2019. 

Da musste ich nun doch erst einmal schlucken. Das Thema schien mir schwierig und unzugänglich. Wie kann man auf sinnvolle Weise „ein Zeichen setzen“ gegen diese Art von Verbrechen?

Nach vielen Tagen der Reflexion kam mir dann die „Oratio Jeremiae“ in den Sinn. Das „Gebet des Propheten Jeremia“ singen wir Jahr für Jahr am Karsamstag in der Trauermette. 

Im Angesicht der von den Babyloniern zerstörten Stadt Jerusalem betet der Prophet um die Bekehrung seines Volkes. Der erschütternde Text beschreibt den katastrophalen Zustand der Heiligen Stadt.

Neben vielen anderen Gräueltaten bringt der Prophet Jeremia eben auch die Gewalt an Minderjährigen ins Gebet: „adolescentibus impudice abusi sunt“ – die jungen Menschen sind schamlos missbraucht. So findet sich dieses Verbrechen seit Jahrhunderten in diesem Text. Die „Oratio“ endet mit dem eindringlichen Aufruf zur Umkehr der Kirche: „Jerusalem, convertere ad Deum tuum“ – Jerusalem, bekehre dich zu deinem Gott.

Jerusalem wird im Kontext des christlichen Gebetes als “Stadt Gottes” verstanden”, also im übertragenen und weiten Sinne als die Kirche. Sie soll sich bekehren, zur Wahrheit, auch zur Realität des eigenen Versagens, mag sie auch noch so bitter sein.

Der dramatische Unterschied zu der Beschreibung des Propheten Jeremia besteht darin, dass diese Verbrechen nun eben nicht von außen (den Babyloniern), sondern von innen her, sozusagen aus den einen Reihen, verübt wurden. Doch das „Zeichen“ war da, man müsste es herausheben, rekontextualisieren und hörbar machen.

Es brauchte einen Komponisten, der sich dem Text annimmt. Mathias Rehfeldt ist in erster Linie Filmkomponist –hat seine Wurzeln aber in der Chor- und Kirchenmusik. Nach einer intensiven Phase der gemeinsamen Reflexion lagen schließlich die ersten Entwürfe vor. Die Auswahl der einzelnen Textstellen der “Oratio” lag bei ihm als Komponisten. Schließlich konnte Mathias Rehfeldt den Auftrag vom Kulturmanagement der Erzdiözese München für sich entscheiden.

Entstanden ist „Oratio”, ein kraftvolles Werk für Chor, Solisten und Orchester. Das musikalische Gebet entwickelt sich aus ruhigen, mystischen Passagen und mündet in einem intensiv mitreißenden Finale. Der Beginn des Stückes ist übrigens ein wörtliches Zitat aus den Trauermetten im Dominikanischen Choral.

Die Uraufführung sollte im Rahmen der Langen Nacht der Musik und eines breit angelegten Projektes zu diesem Thema schon im April 2020 stattfinden – doch dann kam Corona.

In der Nacht vom 14. Oktober 2020 haben sich schließlich 54 Musiker auf dem großen Platz unter der Kuppel der Theatinerkirche verteilt und –unter Einhaltung der vorgegebenen Abstandsregeln- die „Oratio Jeremiae” eingespielt. Entstanden ist die größte Uraufführung in der Theatinerkirche seit dem zweiten Weltkrieg -als Videoproduktion. 

Das Stück ist ab Freitag, 27. November 2020, 18.00 Uhr zu erleben unter:

https://youtu.be/TReD-c4–fc